Presse
Rezension: Geschichtsort Olympiagelände 1909 1936 2006, Rainer Rother (Hrsg.) 160 Seiten,
160 Abbildungen, Broschur, 12,80 Euro. Jovis Verlag, Berlin, ISBN 3-936314-66-7 Der Tagesspiegel, 24.5.2006
Sportgeist und Ungeist
Das Olympiastadion eine lange Geschichte
Wenn in
Sportstätten nicht Sport getrieben, sondern Geschichte gemacht wird, bedeutet dies selten etwas Gutes. Man denkt
an Goebbels Brandrede 1943 im Sportpalast, man denkt an den Terror 1972 bei den Olympischen Spielen in München
oder an die Internierungen 1973 im Fußballstadion von Santiago de Chile. Doch nie ist eine Sportstätte so
zielgerichtet und umfassend zum politischen Ort umfunktioniert worden, wie in den 30er Jahren das
Reichssportfeld in Berlin. Aber auch vorher und bis zum heutigen Tag hatte der Geschichtsort Olympiagelände,
so der Titel des Buches zur Dokumentationsausstellung, ein hochpolitisches Schicksal.
Die Eckdaten
1909, 1936 und 2006. Es begann mit einer Pferderennbahn 1909, und es war der Berliner Architekt Otto March, der
vier Jahre später im Innenraum der Rennbahn das Deutsche Stadion als olympische Sportstätte errichtete. Doch
1916 gab es statt friedlicher Wettkämpfe im Grunewald Grabenkriege in Flandern. Nachdem die Spiele für das Jahr
1936 nach Berlin vergeben wurden, war Adolf Hitler an der Macht und sah in dem Weltspektakel die Gelegenheit,
die olympischen Spiele innen- und außenpolitisch zu instrumentalisieren.
Sein Ziel verfolgte er auf
drei Wegen. Die Spiele sollten durch Architektur und Organisation die Größe und Macht des Dritten Reichs unter
Beweis stellen, die deutschen Sportler waren gehalten, durch ihre Leistungen alle anderen Nationen in den
Schatten zu stellen, und schließlich sollten Sport, Nationalstolz und Vaterlandsliebe zu einem mächtigen Gefühl
verschmolzen werden, das sich in militärische Macht ummünzen ließ.
Die baulichen Anlagen formte Otto
Marchs Sohn Werner nach den Vorstellungen Hitlers im schweren Reduktionsklassizismus der
NS-Repräsentationsarchitektur. In axialer Anlage organisierte er den Olympischen Platz, das neue, gegenüber dem
alten etwas verschobene Stadion, das Aufmarschgelände Maifeld und die Westwall genannte Tribünenanlage mit dem
Glockenturm als Blickpunkt und Abschluss. Sowohl das Aufmarschgelände als auch das Skulpturenprogramm und die
Langemarckhalle unter der Westtribüne gehörten zur militärischen Codierung des Sports.
Schon 1928
wurde das Gedenken an die im Ersten Weltkrieg gefallenen aufopferungsbereiten Heroen der Schlacht bei Langemarck
in Flandern von national eingestellten Teilen der Turnbewegung wach gehalten, obwohl die Schlacht bei Licht
besehen ein militärisches Desaster gewesen war. Hitler forcierte diese vaterländische Bewegung und die
Militarisierung der Turnerschaft und brachte die Langemarck-Rituale unter die Kontrolle der NSDAP. Dem Mythos
leistet er durch den Bau der Langemarckhalle als Gedenkstätte im Olympiagelände Vorschub.
Verdrängte
und vergessene Geschichte also, aber auch Geschichten wie das Schicksal der Olympiaglocke, die Fußball-WM 1974
und der Aufstieg zum Austragungsort für Pokal- und WM-Endspiel 2006 werden in den Kurzkapiteln des Buches in
leicht lesbarer Form thematisiert. FALK JAEGER
Der Tagesspiegel im Internet:
www.tagesspiegel.de