Glockenturm am Olympiastation in Berlin
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Presse

Unter Wolken des Ruhms - Sport und Vaterland: Eine Dokumentationsausstellung zur Geschichte des Berliner Olympiageländes
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.2006

Das Beste an der Ausstellung ist ihr Ort. Ein achtzig Meter hoher Glockenturm auf einem Hügelplateau über Berlin, grau und klotzig wie ein Geschlechterturm der Ghibellinenzeit; rechts der Grunewald mit der stillgelegten Abhöranlage auf dem Teufelsberg, links die Außenbezirke und Gewerbegebiete von Spandau, im Vordergrund, wie eine riesige offene Muschel aus Stein, das Olympiastadion mit seinem neuen Sonnendach. Und dahinter die Stadt - als wäre sie eine Verlängerung des Stadionrunds ins Unermeßliche, Millionenhafte: eine Metropole, kniend am Altar des Sports.

Das Maifeld, das zu Füßen des Glockenturms liegt, war ein Paradeplatz nationalsozialistischer Großorganisationen, und in der Langemarckhalle im Obergeschoß des Turmsockels wurde ein Opfermythos der deutschen Kriegsgeschichte zelebriert, das "heroische" Verbluten von drei Dutzend Freiwilligenregimentern nördlich von Ypern im November 1914. Wenn man aber oben auf dem Turm steht, im Wind, im Wirbel der Perspektiven auf die gebaute wie die gewachsene Landschaft ringsum, spürt man weniger das Peinliche und Makabre als das Visionäre dieses Orts, der einmal "Reichssportfeld" hieß, bevor das Reich. dem er geweiht war, zusammenbrach.

Aber Hitler, der dem Gelände die entscheidenden baulichen Akzente gab, darunter den Glockenturm und das vergrößerte Stadion, war nur der Profiteur einer historischen Konstellation, die sich aus der Blüte des Sports in der Weimarer Republik und der geglückten Olympiabewerbung von 1930 beinahe zwangsläufig entwickelte. Die Demokratie erhielt den Zuschlag für die Sommerspiele, die Diktatur durfte sie in Berlin veranstalten. Werner March, der den Umbau des von seinem Vater Otto March errichteten Deutschen Stadions leitete, wurde von Hitler mit der Neugestaltung des Geländes beauftragt. Die Monumentalarchitektur, die March zusammen mit seinem Bruder Walter entwarf, hat sich im wesentlichen erhalten, auch wenn die "Führerkanzel", von der Hitler auf die das Maifeld füllenden Massen herabschaute, in den sechziger Jahren verschwand. Der Glockenturm, den britische Heerespioniere im Februar 1947 gesprengt hatten, wurde bis 1961 unter britischer Aufsicht restauriert, zusammen mit der Langemarckhalle, die bei der Sprengung gelitten hatte. Auf dem Olympischen Platz vor dem Stadion nahm Königin Elisabeth II. ihre Geburtstagsparaden ab, in den zugigen Räumen unter dem Turm soll sie mit ihren Generälen gefeiert haben.

Es sind seltsame, gewundene, manchmal bedenkliche Kontinuitäten, die man in der Dokumentationsausstellung zur Geschichte des Olympiageländes entdecken kann, welche das Deutsche Historische Museum (DHM) im Auftrag des Kulturstaatsministers im Untergeschoß der Langemarckhalle eingerichtet hat. Wo bei den Sommerspielen von 1936 Athleten aus Europa und Übersee den rechten Arm zum "deutschen Gruß" reckten - den manche als "olympisch" verstehen wollten - und im April 1945 die letzten Volkssturm- und Hitlerjungenbataillone in den aussichtslosen Kampf gegen die Rote Armee geschickt wurden, da zeigten schon Anfang der fünfziger Jahre wieder uniformierte Kradfahrer beim "Großen Polizeifest" ihre Kunststücke.

Aber auch in umgekehrter Zeitrichtung gibt es Übereinstimmungen, die nicht ins allgemein akzeptierte Bild der Epoche zu passen scheinen. So wurde das "Deutsche Sportforum" am Nordostrand des Geländes mit seiner protonazistischen Anmutung bereits 1926 geplant und in Teilen gebaut, und seinen Höhepunkt erlebte das Langemarck-Gedenken mit seiner schwülstigen Soldatenlyrik und seinem Todeskult nicht im Dritten Reich, sondern in der Weimarer Republik. Carl Diem, der bereits damals ein hoher Sportfunktionär war und 1936 als Generalsekretär des Organisationskomitees der Sommerspiele den Olympischen Fackellauf von Griechenland bis zur jeweiligen Austragungsstätte erfand, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Gründungsrektor der Deutschen Sporthochschule in Köln. Erst dreißig Jahre später wurden seine Sportpolitik unter Hitler und seine Auftritte als Einpeitscher beim Endkampf um Berlin öffentlich kritisiert. Eine Auszeichnung, die der Deutsche Leichtathletikverband seit Diems Tod 1962 unter seinem Namen an verdiente Funktionäre vergab, wurde 2002 umbenannt.

Volkwin Marg und Michèle Rüegg, die für die architektonische Gestaltung der Ausstellungsräume verantwortlich zeichnen, haben die vom DHM entworfenen Bild- und Textstelen in ein dämmriges Licht getaucht, das der historisch diffusen Faktenlage entgegenkommt. Im Obergeschoß aber, wo früher die Regimentsfahnen der Langemarckschlacht hingen, übertönt das Gebrüll der Monumentalarchitektur nahezu jede Reflexion. An den massiven, basaltgrauen Wänden unter dem Betondach, das von sechzehn pseudodorischen Pfeilern aus Muschelkalk getragen wird, prangen reliefierte Zitate von Hölderlin und dem Kriegspoeten Walter Flex. "Lebe droben, o Vaterland, / Und zähle nicht die Toten!" steht dort und "Ihr heiligen grauen Reihen / geht unter Wolken des Ruhms", und wer da noch nicht martialisch gestimmt wird, dem recken sich die Gedenktafeln der bei Langemarck verheizten Einheiten gebieterisch entgegen.

Der Ausstellungsteil des Stockwerks, der mit Stelen und zwei Multimedia-Plätzen das Entstehen und Verlöschen der Langemarck-Legende dokumentiert, wirkt wie eine Fußnote zu dem düsteren Text der Ehrenhalle. Ende April 1945 versuchten Verbände der Hitlerjugend, eingeschworen von Carl Diem - "Sport ist freiwilliges Soldatentum" -, das von russischen Truppen besetzte Gebäude und das Maifeld zurückzuerobern; Hunderte von ihnen starben. Heute geht man mit Schaudern durch die kalte, vom Luftzug dröhnende Halle, als läge Tod unter jedem Schritt.

ANDREAS KILB

Geöffnet bis Oktober; der Katalog ist im Jovis Verlag erschienen und kostet 12,80 Euro.

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