Glockenturm am Olympiastation in Berlin
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Presse

Der Mythos von Langemarck - In Berlin wurde eine Ausstellung zur Nazi-Geschichte des Olympiageländes eröffnet
Süddeutsche Zeitung , 11.05.2006

Noch wenige Wochen bis zum Showdown, dem Fußball-WM-Endspiel in Berlin – doch schon jetzt öffnet sich eine ganz neue und beunruhigende Perspektive auf das Olympiagelände im Westen der Hauptstadt. Gerade wurde hier die Langemarckhalle für das Publikum geöffnet, ein aschgrauer Tempel direkt unterhalb des Glockenturms – das erste nationalsozialistische Kriegerdenkmal für Berlin. Ihm stattete Adolf Hitler am 1. August 1936 zum „stillen Gedenken“ einen Besuch ab, nur in Begleitung seines Kriegsministers Blomberg. Minuten später begrüßte er auf dem angrenzenden Maifeld das Olympische Komitee und erklärte die angeblich völkerverbindenden Spiele für eröffnet.

Die Langemarckhalle erinnert an den „Mythos von Langemarck“, also an junge deutsche Regimenter, die 1914 auf dem Schlachtfeld von Flandern starben. Ihr „Opfertod“ sollte gerühmt werden.

Kommentiert wird die Langemarckhalle durch die Ausstellung: „Geschichtsort Olympiagelände 1909 – 1936 – 2006“. Nur wer diese Ausstellung durchlaufen hat, kann die Langemarckhalle betreten. Wobei das Deutsche Historische Museum ganze Arbeit geleistet hat: Die problematische Geschichte des Sportareals wurde freigelegt und aufgearbeitet. Zugleich wird die Verstrickung von Sport und Krieg beispielhaft deutlich gemacht.

Noch bis vor kurzem war die einstige Ruhmes- und Todeshalle ein verwahrloster Ort. Jetzt erscheint der nüchtern rekonstruierte Steinsaal – ohne die deutschen Regimentsfahnen, die hier einmal die Wände schmückten – als ein Ort klirrender Leere. In die Wand gemeißelt: die Verse Hölderlins an das Vaterland – „Dir, liebes, ist keiner zuviel gefallen.“ Von den Nazis missbraucht, wirkt das Gedicht hier gespenstisch deplatziert.

Deplatziert war offenbar auch der Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, bei seiner Eröffnungsrede. Neumann wähnte sich bereits in der Langemarckhalle, obwohl er sich ein Stockwerk tiefer, im Erdgeschoss, befand. Hier stand noch vor kurzem ein schäbiger Wohnwagen, in dem Tickets verkauft wurden. Jetzt schwebt ein moderner Glasfahrstuhl durch alle Etagen bis an die Spitze des Glockenturms. Von hier aus bietet sich ein großartiger Blick auf Berlin. Deutlich zu sehen ist die Achse, die das Olympiagelände als Fortsetzung der Linie Unter den Linden – Siegessäule – Charlottenburg definiert.

Schon merkwürdig: Bisher galt das frühere „Reichssportfeld“ den Berlinern ganz naiv und ungebrochen als trubeliger Vergnügungs- und Veranstaltungsort, über den kaum jemand nachdachte. Hier fanden Kirchentage statt und Papstbesuche oder auch Geburtstagsfeiern für Elizabeth II. durch die britische Armee. „Durch die selbstverständliche Nutzung ist die Vorgeschichte dieses Berliner Ortes fast in Vergessenheit geraten“, sagt Rainer Rother, der die Ausstellung konzipierte. Dass die Aufarbeitung der Geschichte dieses Ortes erst begonnen habe, meinte auch Volkwin Marg, der Architekt des neuen Olympiastadions, dem es gelang, die Bundesregierung und den Berliner Senat für eine Unterstützung in Höhe von 6,5 Millionen Euro zu gewinnen.

Die hervorragende Ausstellung zeigt die Verflechtung von Sport, Politik und Krieg, die durch die Situierung der Langemarckhalle auf dem Sportgelände räumlich erfahrbar wird. Seit den dreißiger Jahren dienten „die Leibesübungen am deutschen Menschen der Erhaltung unserer Rasse“. SA-Leute übten bei einem Sportfest 1933 das Werfen von Handgranaten. Der militärische „Sturmlauf“ durch Europa, von Polen bis Frankreich und Norwegen, wäre nicht denkbar gewesen ohne den Sturmlauf des Sportes. „In diesem Sinne“, geiferte Goebbels, „grüßen wir dich, heilige Flamme, und sagen: glühe und verlösche nie.“ Genau in diesem Augenblick entzündete am 1. August 1936 der Fackelläufer Siegfried Eifrig vor dem Lustgarten in Anwesenheit von zwanzigtausend Hitlerjungen mit seiner Olympiafackel das Feuer. Bei der Pressekonferenz unter dem Glockenturm war der 97-jährige Eifrig, der auf unzähligen historischen Fotos abgebildet ist, anwesend.

Als der Krieg zurückkam Während es Hitler gelang, der Welt ein friedliches Deutschland vorzuspielen, marschierten Piloten der Staffel „Condor“ am Olympischen Dorf vorbei und brachen von hier aus zum Einsatz im spanischen Bürgerkrieg auf. Ironie der Geschichte. Als der Krieg 1945 zurückkam, waren auf dem Olympiagelände Einheiten der Hitlerjugend und des Volkssturms untergebracht, die den Ansturm der Roten Armee stoppen sollten – ein militärisch ebenso absurder Versuch wie der im Ersten Weltkrieg glorifizierte Ansturm auf Langemarck.

Jeder Besucher der Fußball-WM (und jeder Berlin-Besucher) soll sich nun einen Eindruck machen können vom sportlich-kriegerischen Komplex. Das Problem: Die Langemarckhalle liegt auf der Westseite des Olympiageländes – sie wird also von den Stadionbesuchern gar nicht angesteuert. Doch der kleine Umweg lohnt sich – schon wegen der gigantischen Aussicht vom Glockenturm, der erst eine Gesamtansicht des Ensembles ermöglicht. Er zeigt die Anlage als Gesamtkunstwerk nach dem Vorbild der Griechen, mit Stadion, Theater (Waldbühne), Gymnasium (Reichsakademie für Leibesübungen, heute Haus des Sports) und Palästra (Trainingsstätte). Der Tempel in diesem Fünfergestirn ist die Langemarckhalle, ursprünglich mit angebauter Führertribüne, die freilich in den sechziger Jahren „zurückgebaut“ wurde.

Dort, wo nationalsozialistische Aufmärsche stattfanden, auf einem gigantischen Areal, stehen heute weiße Zelte: der Hospitality-Bereich neben dem Olympiastadion, ein Ort für VIPs, Sponsoren und Großunternehmen, für die sogar asphaltierte Straßen angelegt werden. Bei Masseninszenierungen, so scheint es, führen inzwischen nicht mehr die Politiker Regie.

WERNER BLOCH

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